Rauchen auf dem Balkon – darf ich?
BGH Urteil vom 16.01.2015, Az.: V ZR 110/14
Im vorliegenden Fall hatte der BGH hatte darüber zu urteilen, ob das Rauchen auf dem Balkon eines Mehrfamilienhauses untersagt werden kann, wenn sich hierdurch der Bewohner einer angrenzenden Wohnung belästigt fühlt.
Sachverhalt
Die Parteien sind Mieter von Eigentumswohnungen in einem Mehrfamilienhaus. Ihre Balkone, die übereinander liegen, befinden sich im Erdgeschoss sowie im ersten Stock. Die Mieter der im Erdgeschoss liegenden Wohnung sind Raucher und nutzen ihren Balkon mehrmals am Tag zum Rauchen wodurch sich die Mieter des darüber liegenden Balkons als Nichtraucher durch den aufsteigenden Tabakrauch im Gebrauch ihrer Wohnung gestört fühlen.
Im Einzelnen:
In seinem Urteil führt der BGH aus, dass das Rauchen auf dem Balkon nicht generell untersagt werden kann. Dies ist nur insoweit möglich, als der Rauch zu einer Störung des Besitzes (§ 862 I BGB) führt oder von ihm eine Gefahr für die Verletzung der Gesundheit ausgeht (dann § 1004 I S. 2 BGB analog) wobei bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen dem Mieter Zeiten einzuräumen sind, an denen er auf seinem Balkon rauchen kann.
Im vorliegenden Fall sieht der BGH die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch wegen Besitzstörung nach § 862 I BGB als erfüllt an.
Diese erfordern u.a., dass die Störung des Besitzes widerrechtlich erfolgt, also nicht gestattet wurde.
Hierzu führt er aus, dass die Widerrechtlichkeit nicht schon deswegen zu verneinen ist, weil dem Mieter seitens des Vermieters das Rauchen auf dem Balkon gestattet wurde. Vertragliche Vereinbarungen des Störes mit dem Dritten sind grundsätzlich nicht dazu geeignet eine Besitzstörung zu rechtfertigen. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn sich für den gestörten Mieter aus seinem Mietvertrag und einer darin in Bezug genommenen Hausordnung ergibt, dass Störungen durch Mitmieter in einem bestimmten Umfang geduldet werden müssen. In diesem Fall kann eine Störung nicht nach § 862 I BGB abgewehrt werden. Da hier jedoch eine derartige vertragliche Regelung fehlt, steht dem Mieter ein Unterlassensanspruch unabhängig davon zu, ob dem Mitmietern, also den Rauchern, das Rauchen nach ihrem Mietvertrag erlaubt ist oder nicht.
Auch aus § 906 I und Art. 2 I GG ergibt sich keine Gestattung bzw. eine Pflicht des Mieters das Rauchen zu dulden.
Der Mieter muss das Rauchen nach § 906 BGB nicht hinnehmen, wenn er hierdurch in dem Gebrauch der Mietsache wesentlich beeinträchtigt wird. Wann dies vorliegt beurteilt sich dem Urteil zur Folge nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was diesen unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist. Da die Vorinstanzen hierzu keine Feststellungen getroffen haben, konnte der BGH zu diesem Punkt keine Entscheidung treffen.
Eine Duldungspflicht ergibt sich dem Urteil zur Folge auch nicht aus Art. 2 I GG, der freien Entfaltung der Persönlichkeit, dessen Schutzbereich das Rauchen erfasst. Auch wenn das Rauchen in den Schutzbereich des Art. 2 I GG fällt, sind im Rahmen der Abwägung die gegenseitigen Interessen zu berücksichtigen wonach das Recht des nichtrauchenden Mieters auf ungestörten Gebrauch seiner Mietsache zu beachten ist und der rauchende Mieter daher verpflichtet ist, sich auf ein maßvolles Rauchen zu beschränken. Angesichts der Nichtrauchergesetze von Bund und Ländern kommt die Annahme, durch Rauchen erzeugt Immissionen seinen als sozialadäquat einzustufen, heute nicht mehr in Betracht. Deutlich (intensiv) wahrnehmbarer Rauch ist vielmehr grundsätzlich als eine wesentliche Beeinträchtigung anzusehen. Das Gilt auch dann, wenn sie nur eine Zigarettenlänge andauert.
Den bisherigen Ausführungen zur Folge ist der nicht rauchende Mieter also nicht verpflichtet, den Rauch eines anderen Mieters zu dulden und kann daher eine Unterlassung des Rauchens verlangen.
Der BGH stellt jedoch klar, dass dieser Unterlassungsanspruch nicht uneingeschränkt bestehen kann.
Der gestörte Mieter muss nämlich auch auf das Recht des anderen Mieters Rücksicht nehmen, seine Wohnung vertragsgemäß zu nutzen, wozu grundsätzlich auch das Rauchen in der Wohnung und auf dem Balkon gehört. Bei Störungen durch solche Immissionen kollidieren die durch die Mietverträge begründeten Besitzrechte, diese Rechtspositionen sind grundrechtlich geschützte Eigentumsrechte im Sinne des – Art. 14 I S. 1 GG, da jede Partei auf den gebrauch der Wohnung zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse wie zur Freiheitssicherung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit angewiesen ist. Sie müssen daher – unter Einbeziehung des ebenfalls betroffenen Grundrechts des Rauchers aus Art. 2 I GG – in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.
Fehlt es an für beide Teile verbindlichen vertraglichen Regelung in einer Hausordnung, bestimmen sich die Grenzen des zulässigen Gebrauchs und der hinzunehmenden Beeinträchtigung nach dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme.
Aus der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben ( § 242 BGB) ergibt sich für jeden Hausbewohner die Pflicht zur Rücksichtnahme auf das Interesse des anderen, die von ihm genutzte Wohnung für seine Lebensbedürfnisse und zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu gebrauchen. In Anbetracht dieser Verpflichtung kann die Ausübung auch eines an sich bestehenden Unterlassungsanspruchs des Mieters nach § 862 I S. 2 BGB unzulässig sein.
Im Falle von Tabakrauch führt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme im Allgemeinen zu einer Gebrauchsregelung für die Zeiten, in denen beide Mieter an einer Nutzung ihrer Balkone interessiert sind.
Entsprechend den Ausführungen des Urteils müssen sich die Bewohner eines Mehrfamilienhauses dahingehend arrangieren, dass den rauchenden Personen Zeiträume zu gewähren sind, in denen sie ihren Balkon zum Zwecke des Rauchens nutzen können während den Nichtrauchern Zeiträume zu gewähren sind, in denen sie ihren Balkon unbeeinträchtigt von Rauchbelästigungen nutzen können.
Als einen weitern Unterlassensanspruch führt der BGH § 1004 I S.2 BGB analog an. Dabei geht es um das zu schützende Rechtsgut Gesundheit. Hierzu führt er aus, dass gesundheitsschädliche Immissionen durch Tabakrauch wesentliche Beeinträchtigungen sind, die nicht geduldet werden müssen. Das gilt auch im Verhältnis von Mietern untereinander. Sie überschreiten stets die Grenze dessen, was der beeinträchtige Mieter hinzunehmen hat. Dabei ist aber zu beachten, dass die Gefahr des Eintritts gesundheitlicher Schäden durch das Einatmen der im Tabakrauch enthaltenen krebserzeugender Substanzen aus der Raumluft (Passivrauchen) grundsätzlich geringer einzuschätzen ist, wenn im Freien geraucht wird oder eine größere Distanz zwischen der Stelle, an der geraucht, und derjenigen, an der die mit Rauch belastete Luft eingeatmet wird und bei einen dazwischen liegenden Hindernis (Balkondach) eher als gering einzuschätzen ist.
Dass sich jedoch im konkreten Fall der fundierte Verdacht einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch Feinstaubpartikel ergibt, ist von dem nichtrauchenden darzulegen.
Zur Klärung der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Beeinträchtigung der Gesundheit vorliegt oder nicht, wurde an das Berufungsgericht zur Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen.
(Dipl. Jur. W. Bauer)